Architekt Patrick Kümmel aus Saarbrücken möchte in Bingens Alfred-Nobel-Straße ein Haus bauen. Das ist erst einmal nichts Besonderes. Besonders wird dieses geplante Haus durch das Baumaterial. Die Außenwände der geplanten Gewerbeimmobilie werden zum großen Teil aus „Miscanthus x giganteus“ gebaut. Ein anderes Wort für diese Pflanze ist Riesen-Chinaschilf. Solch ein Schilfgras-Haus ist in Deutschland zweifelsohne ein Exot und auch in der Schweiz ist Bauen mit Chinaschilf nicht gang und gäbe. Allerdings hat diese Art zu Bauen dort bereits eine etwas längere Tradition.
Schilf mit viel Potenzial
Die Urheimat von Riesen-Chinaschilf ist nicht China, sondern Japan. Die Pflanze erreicht auch in Europa eine Höhe von bis zu vier Metern und als Biomasse taugt sie beispielsweise zum Heizen mit regenerativer Energie. Sehr verbreitet ist die Nutzung von Chinaschilf hierzulande allerdings noch nicht. Doch es gibt Menschen, die das mit ihrem Engagement ändern möchten. Im Odenwald haben etwa der Heizungsbauer Werner Germann und der Landwirt Timo Böck zusammen mit sechs weiteren Landwirten die Firma Miscanthus Gersprenztal gegründet. Sie möchte dem Riesen-Chinaschilf in der Region den Boden für eine Nutzung unter anderem als Brennstoff bereiten. Diese Initiative ist nicht die einzige, die sich dieser Aufgabe in Deutschland widmet. Schließlich ist die Pflanze für viele Dinge gut und hat Potenzial: Aus ihr können neben Brennstoff beispielsweise auch Verpackungen, Rindenmulch-Ersatz, Dämm- und Baustoffe hergestellt werden.
Schilf-Bauern mit einem Großabnehmer
Letzteres kommt nun den Bauern Hans Willi Planz und Andreas Hellmeister aus Rheinland-Pfalz zugute. Beide bauen auf ihren Feldern unter anderem Chinaschilf an und haben jüngst mit Patrick Kümmel einen Großabnehmer gefunden. „Ein kleines Wohnhaus kann bereits mit fünfzehn Tonnen Chinaschilf gebaut werden“, wird der Architekt in der Wormser Zeitung vom 28. April 2011 zitiert. Nun soll es jedoch kein kleines Wohnhaus, sondern eine Gewerbeimmobilie werden, das in Bingen entsteht. Genauere Angaben zu den aktuellen Plänen Kümmels fehlen allerdings noch. Man darf gespannt sein! Wer sich bereits jetzt im Internet informieren möchte, wie Bauen mit Chinaschilf funktioniert, wird anderswo fündig: in der Schweiz.
Schweizer Schilfhaus mit niedrigen Heizkosten
Ein Chinaschilfhaus mit einer beheizten Wohnfläche von 300 m² steht beispielsweise in Bannwil in der Schweiz. Initiator dieses Baus ist Jörg Will, ehemals Präsident der schweizerischen Interessensgemeinschaft (IG) Miscanthus. Das Haus wurde bereits 2006 gebaut und für die Wände wurde eine Mischung aus Zement, Wasser sowie gehäckseltem Schilf und Fichtenholz verwendet. Laut einer Analyse der IG Miscanthus lagen die Energiekosten im Zeitraum vom ersten November 2006 bis zum 30. April 2007 bei 640 Schweizer Franken (etwa 500 Euro). Das Baumaterial mit integriertem Chinaschilf hat da neben Elementen wie der energiesparenden Luft / Wasser- Wärmepumpe seinen Beitrag geleistet. Bonner Agrarwissenschaftler haben ihm bereits 2002 sehr gute bauakustische, -statische und –physikalische Eigenschaften bescheinigt. Bingen kann sich auf eine interessante Immobilie aus einem interessanten Material freuen.
Miscantus? Dass man damit viel machen kann, das war mir schon bewusst. Dass man daraus theoretisch aber sogar komplette Immobilien bauen kann, das ist mir völlig neu. Diese Welt hört einfach niemals auf, mich zu faszinieren.