Die als Wohnort begehrteste Stadt Deutschlands ist Dessau-Roßlau in Sachsen-Anhalt derzeit wohl eher nicht. Die Zahl ihrer Einwohner sinkt tendenziell seit 1991. Solch eine Entwicklung teilt sie mit einer ganzen Reihe von Städten und so ist ihr Kampf um eine attraktive Zukunft ein Beispiel von vielen. Neue Attraktivität verspricht sich die Stadt einerseits vom Konzept einer in die Stadt hineinwachsenden Landschaft. Andererseits sollen urbane Kerne und eine wiederbelebte Innenstadt für neuen Aufschwung sorgen. Hilfe erhält Dessau-Roßlau aktuell vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, das insgesamt 1,9 Millionen Euro auf acht Modellstädte aufteilt. Mit dem Geld lassen sich beispielsweise Pläne für ungenutzte Flächen und leer stehende Gebäude in Dessau-Roßlaus Langer Gasse im Innenstadt-Bereich umsetzen. Und das wäre dann möglicherweise ein weiterer Schritt in die langfristige Überlebensfähigkeit der Stadt.
Dessau-Roßlau – eine schrumpfende Stadt
Laut Statistischem Landesamt von Sachsen-Anhalt lebten 1991 insgesamt 95.667 Einwohner in Dessau, das damals 127 Quadratkilometer umfasste. Seit 2007 heißt die Stadt Dessau-Rosslau, weil Dessau und Roßlau fusionierten. Seither hat Dessau-Roßlau eine Größe von 245 Quadratkilometer. Dennoch sank die Einwohnerzahl bis Ende 2010 auf 86.906. Eigene Berechnungen der Stadt kommen auf leicht veränderte Werte, zeigen aber denselben Trend: Für Juni 2011 verzeichnete Dessau-Roßlau für sich 86.232 Einwohner und damit abermals ein Rückgang. Diese Entwicklung zwingt die Stadt zum Handeln, um Wege in eine bessere Zukunft zu finden, die zumindest den verbleibenden Menschen ein attraktives Umfeld bietet.
Ein Leitbild für den Stadtumbau
In ihrem Leitbild hat sich die Stadt Prioritäten „für eine prosperierende Wirtschaft, attraktive Wohnstandorte und lebendige Orte des täglichen Miteinanders“ gesetzt. Ein dazu passendes Ziel im Bereich Wirtschaft ist die Profilierung als „zukunfts- und wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort in der Metropolregion Mitteldeutschland“, wofür die Stadt auf „die Branchenkompetenzen aus unternehmensnahen Dienstleistungen, Biopharmaindustrie, öffentlichen Unternehmen, kreativen Tätigkeiten und dem Gesundheitswesen“ setzt. Im Bereich „Wohnen“ möchte sie zeitgemäße Wohnangebote für unterschiedliche Nutzergruppen schaffen und das Wohnumfeld entsprechend gestalten. Beim Stadtumbau allgemein soll das Stadtumbauleitbild „Urbane Kerne und landschaftliche Zonen“ weitergeführt werden, mit dem das Schrumpfen als Chance genutzt wird.
Landschaftliche Zonen in der Stadt
Teile zuvor ungenutzter Stadtfläche werden in Dessau-Roßlau genutzt, um Landschaft in die Stadt hineinwachsen zu lassen. Vorbild dieser Landschaft ist das Gartenreich Dessau-Wörlitz mit seinen weiten Wiesen und Blickfeldern wie Eichengruppen und Denkmälern. Verbunden mit dem Konzept soll ein Blickwechsel sein: weg vom Blick auf das, was durch das Schrumpfen der Stadt verloren geht, und hin zu dem, was gewonnen wird, auf eine attraktive Einheit aus Stadt und Natur. Seit 2004 existiert die von der Stadt Dessau und der Stiftung Bauhaus ins Leben gerufene Planungswerkstatt, die alle vom Stadtumbau betroffenen Gruppen an einem Tisch bringt. Bürger gestalten mittlerweile etwa Teile der Landschaft in Form von Claims selbst. Insgesamt neunzehn solcher Claims, die jeweils 400 m² groß sind, waren 2010 nach Ideen von Bürgern umgestaltet worden.
Die urbanen Kerne
Neben der in die Stadt wachsenden Landschaft stehen die urbanen Kerne im Mittelpunkt des Leitbilds. Es sind die lebensfähigen Bereiche der Stadt im engeren Sinn: der bebauten Fläche. Jeder einzelne dieser Kerne soll im Rahmen des Stadtumbaus individuell betrachtet und gestaltet werden. Kleinteilig und in überschaubaren Dimensionen denken, heißt das Grundprinzip. Zugleich sollen sich all diese definierten Kerne aufeinander beziehen, ineinander greifen und gemeinsam mit der Innenstadt als Anker ein lebensfähiges System bilden.
Was wird aus der Langen Gasse?
Um solch einen Anker zu bilden, muss auch in der Innenstadt von Dessau-Roßlau noch einiges geschehen. Ein zentrales Projekt ist dabei das Quartier „Lange Gasse“ mit dem ehemaligen Gelände der Schade-Brauerei. Es wird beispielsweise als Modellvorhaben auf den Internetseiten des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumordnung (BBSR) vorgestellt. Das Gesamtareal umfasst 16.000 m², von denen das Gelände der Brauerei 7.000 m² ausmacht. Geplant ist eine Mischnutzung. Die Leiterin des Amtes für Stadtentwicklung, Christine Jahn, kann sich dabei einen „Mix aus Wohnungen, Einzelhandelsflächen und Dienstleistungsbereich“ vorstellen, schrieb die Mitteldeutsche Zeitung Mitte Dezember 2011. Da kommt das Geld vom Bund wohl gerade richtig. 190.000 Euro der insgesamt 1,9 Millionen Euro des Bundes fließen nach Dessau-Roßlau, sodass die Stadt mitsamt Eigenmitteln 254.000 Euro ausgeben kann, heißt es in der Mitteldeutschen Zeitung weiter.
Viele einzelne Schritte führen zum Ziel
Es tut sich also etwas in Dessau-Roßlau und die Ansätze klingen interessant und gut. Dass die Stadt auf einem sicheren Weg in eine für die Bewohner attraktive Zukunft ist, kann wohl dennoch niemand mit Gewissheit sagen. Das gilt für Dessau-Roßlau wie für alle anderen Städte, die bei sinkenden Einwohnerzahlen Chancen suchen. Kann Dessau-Roßlau ein Vorbild für andere Städte sein? Vielleicht aufgrund seiner agilen Versuche, Stadtumbau kreativ, planvoll und mit Bürgerbeteiligung zu realisieren, für all diejenigen, die bisher weniger Agilität zeigen. Darüber hinaus sind allerdings wohl auch die aktuellen Herausforderungen schrumpfender Städte zu unterschiedlich, um Konzepte einfach zu übernehmen. In jedem Fall gilt jedoch: Es sind viele kleine Schritte nötig, die einem Plan folgen, ohne dabei die Sicherheit zu haben, angestrebte Ziele auf jeden Fall zu erreichen. Aber der Versuch ist es wert. Und wenn gute Konzepte hinter dem Versuch stehen, sind die Erfolgsaussichten auch gar nicht einmal schlecht.