Sollten Wolkenkratzer durch ihre außergewöhnliche Form und Fassade faszinieren oder stehen dann doch eher Funktionalität, die „inneren Werte“ und der Preis im Vordergrund? Aktuell wird diese Frage gerade in London diskutiert, wo ein Team einen Wolkenkratzer entworfen hat, der weitaus weniger als übliche Hochbauten in der britischen Hauptstadt kostet. Nicht jeder ist von den Entwürfen begeistert.
Eine Aufgabe mit klaren Vorgaben
Alles begann mit einem Wettbewerb, den Sir Stuart Lipton ausgerichtet hat. Sir Lipton ist ein bedeutender Immobilien-Projektentwickler und jemand, dessen Stimme nicht alleine in London Gewicht hat. Er forderte von den Wettbewerbsteilnehmern Pläne für einen 40-stöckigen Wolkenkratzer, der nur die Hälfte der ansonsten in London üblichen Baukosten verschlingt. Konkret bedeutet das: Statt der aktuell durchschnittlichen 250 Britischen Pfund pro Quadratfuß (ein Quadratfuß = 0,09 m²) sollten die Kosten für das Projekt bei 125 Britischen Pfund pro Quadratfuß liegen. Darüber hinaus forderte Sir Lipton Nachhaltigkeit, Effizienz, Komfort und nicht zuletzt eine Lebensspanne von mindestens sechzig Jahren für das Gebäude.
Einfach geht auch!
Der Aufgabe stellte sich ein Team, zu dem unter anderem die Architektengruppe Aedas sowie die Bauunternehmen Davis Langdon und Hilson Moran gehören. Wolkenkratzer in London sind derzeit teuer, da sie oft auf maßgeschneiderte Fassaden und außergewöhnliche Formen setzen, was den Preis für den Bau teils deutlich steigert. Die Projektgruppe setzt dem Lösungsansätze mit einem rechteckigen Wolkenkratzer entgegen, der ein relativ einfaches Design besitzt. Das Gebäude soll aus in Serie produzierten Bauteilen und einer preisgünstigen Fassadenlösung bestehen. Ganz konnten die Ansätze des Teams die finanziellen Vorgaben von Sir Stuart Lipton allerdings nicht erfüllen. Aber fast! Die erarbeiteten Lösungen liegen im Bereich zwischen 136 und 154 Britischen Pfund pro Quadratfuß und damit deutlich unter den bisherigen Werten.
Wolkenkratzerpläne auf dem Weg zur Realisierung
Die bisherigen Ergebnisse sind keine rein theoretischen Planspiele. Es gibt mit den Projektentwickler-Unternehmen Canary Wharf, Derwent und Hammerson bereits Interessenten für eine Realisierung. Die Entwürfe wurden zudem Londons Stadtplaner Peter Rees und dem leitenden Baubeirat Paul Morrell vorgestellt. Beide bekundeten Unterstützung für mögliche weitere Schritte. Der nächste Schritt könnte ein Pilotprojekt sein, das durch Liptons Projekt-Entwicklungsunternehmen Chelsfield abgesichert und durch Peter Rogers vom Entwickler Stanhope unterstützt wird.
Kontroverse Diskussionen um Wolkenkratzer der Zukunft
„Architekten werden beginnen müssen, das von ihnen präsentierte Baudesign neu zu bewerten, wird Stadtplaner Peter Rees auf dem Portal Building.co.uk zitiert. Architekten wie Ken Shuttleworth, so das Magazin weiter, würden ein einfacheres, preiswerteres Wolkenkratzerdesign begrüßen. Andere wie Karen Cook, eine Direktorin bei PLP Architecture, sehen gerade im spektakulären Design von Wolkenkratzern in London ein großes Plus für die Skyline der Stadt. Karen Cook mag dabei an Wolkenkratzer-Projekte wie den im Bau befindlichen „Shard London Bridge“ denken. „Dieser Wolkenkrater wird die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf das Quartier „London Bridge“ ziehen“, steht auf der Website dieses Projekts. Dass das, was jetzt als kostengünstige Wolkenkratzerlösung präsentiert wird, eine derartige Aufmerksamkeit auf sich ziehen könnte, glaubt nicht jeder. Allerdings sieht auch nicht jeder eine absolute Unvereinbarkeit von der Forderung nach einfacheren Formen und guter Architektur. „Es ist absolut nicht so, dass Architekten nichts architektonisch Akzeptables hervorbringen können, wenn sie die Vorgaben der neuen Lösungsansätze berücksichtigen“, zitiert Building.co.uk Steve Watts von Davis Langdon. „Es gibt Architekten, die glücklich wären, Kult-Häuser zu bauen, deren Kultstatus nicht unbedingt auf ihrer Form beruht. Sie können außergewöhnlich aufgrund des Grades ihrer Funktionalität, wegen der nachhaltigen Bauweise, durch perfekte Planung und Übergabe an die Nutzer sein“, ergänzt Judit Kimpian vom Unternehmen Aedas auf derselben Plattform.
Außergewöhnlich, wirtschaftlich und sinnvoll?
Das sind wesentliche Fragen, um die es derzeit in London geht. Darüber hinaus sind es aber auch Fragen, die weltweit grundlegend die Zukunft von Wolkenkratzer-Architektur betreffen. Eine Gruppe kam bei der Suche nach Antworten auf diese Fragen bisher eher wenig zu Wort: diejenigen, die vielleicht einmal in diesem oder jenem Wolkenkratzer in London arbeiten werden. Wir werden herausfinden müssen, ob unser Prototyp das ist, was der Markt möchte, sagt Dan Jestico von Hilson Moran auf Building.co.uk und fährt fort: „Wir müssen die Leute fragen, ob sie glücklich mit einem rechteckigen oder quadratischen Wolkenkratzer wären, der nachhaltiger, effektiver, komfortabler für den Nutzer ist und zugleich weniger kostet“. Ganz generell wäre es darüber hinaus auch einmal interessant, wie die Einwohner Londons im Allgemeinen die Sache sehen. Wie soll sich ihre Stadt in Zukunft präsentieren? Auch sie sind betroffen. Wir warten gespannt auf die Antworten.